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 RAUBKUNST

Der Bundesgerichtshof zitiert in einer Leitentscheidung aus dem Buch "Kunstraub in Krieg und Verfolgung" von RA Dr. Hartung


Der Bundesgerichtshof hat in einer Grundlagenentscheidung entschieden, dass die Sonderregelungen des Rückerstattungsrechts nicht die allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen verdrängen können, soweit der Berechtigte bis nach Ablauf der Anmeldung des Rückerstattungsanspruchs keine Kenntnis vom Verbleib seines Eigentums erlangt hat. Dies hatte RA Dr. Hannes Hartung bereits 2005 in seiner Dissertation "Kunstraub in Krieg und Verfolgung" (erschienen bei de Gruyter Recht, Berlin) gefordert.

In dem Leiturteil des Bundesgerichtshof zur Rückgabe der Plakatsammlung von Hans Sachs führt der BGH zur Thematik folgendes aus:

Demgegenüber herrscht im neueren Schrifttum - zum Teil im Anschluss an eine Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen (Beschluss vom 28. Februar 1955 - GSZ 4/54, BGHZ 16, 350) - die Auffassung vor, dass das Rückerstattungsrecht in erster Linie den Interessen des Geschädigten gedient habe. Das schließe es aus, dem Geschädigten Ansprüche zu versagen, die bereits nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen durch die Unrechtsmaßnahme begründet worden seien (vgl. Hartung, Kunstraub in Krieg und Verfolgung, 2005, S. 169; ...

cc) Ob die zuletzt genannte Ansicht Veranlassung bietet, die bisherige Rechtsprechung in Frage zu stellen, kann dahin stehen. Den alliierten Rückerstattungsvorschriften kommt jedenfalls dann kein Vorrang gegenüber einem Herausgabeanspruch nach § 985 BGB zu, wenn der verfolgungsbedingt entzogene Vermögensgegenstand - wie hier und anders als in den bislang durch den Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen - nach dem Krieg verschollen war und der Berechtigte erst nach Ablauf der für die Anmeldung eines Rückerstattungsanspruchs bestimmten Frist von seinem Verbleib Kenntnis erlangt hat.

Das vollständige Urteil des Bundesgerichtshofs finden Sie unter

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=59992&pos=0&anz=1

Eine weitere Schilderung des Falles findet sich unter

http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bgh-urteil-zur-sammlung-sachs-eigentum-an-ns-raubkunst-kennt-keine-fristen/


RA Dr. Hartung ist seit über zehn Jahren auf das deutsche Restitutionsrecht und die Restitution von Raubkunst und Beutekunst spezialisiert. Die nachfolgenden Äußerungen von Dr. Hartung auf Seite 169 in seinem Werk "Kunstraub in Krieg und Verfolgung" haben die Entscheidung des BGH und damit einen grundlegenden Wandel in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wohl mit beeinflusst:
 
 2. Wertende Gegenüberstellung der beiden Anspruchssysteme

Es stellt sich die grundlegende Frage, ob nicht die Maßstäbe der Rückerstattungsgesetze (wie das BRüG und das VermG für das Beitrittsgebiet) einen Anspruchsvorrang[1] vor allgemeinen zivilrechtlichen Ansprüchen genießen. Hierfür spricht zumindest bereits eine entsprechende gesetzgeberische Entscheidung in den alliierten Rückerstattungsgesetzen, dass Entziehungen durch den nationalsozialistischen Machthaber abschließend nur nach ihren Gesetzen zu bewerten seien (Artikel 49 I 1 REG brit. Zone, Artikel 57 I REG amerikanische Zone)[2] Die Erfahrung hatte nämlich gezeigt, dass das rein zivilrechtliche Instrumentarium die Entzugsfälle jedenfalls nicht abschließend zu erfassen vermochte.[3]

Auch der deutsche Gesetzgeber hat später ein stark formalisiertes Rückerstattungsverfahren für die zuständigen Verwaltungsbehörden gewählt, um in diesem besonders emotionsbehafteten Bereich ein klar festgelegtes Verfahren im Streit zwischen den Alteigentümern und gegenwärtigen Eigentümern respektive Besitzern anzubieten.[4] Unbeschadet der materiellrechtlichen Vorteile, die aus einer Anwendung der genannten Rückerstattungsgesetze entspringen, sprechen jedoch gewichtige Argumente gegen die Ansicht, dass die rückerstattungsrechtlichen Regeln abschließend sind: Die Rechtsprechung hat sich im Zuge der Abgrenzung zwischen den allgemeinen zivilrechtlichen Ansprüchen und solchen des Vermögensgesetzes zunächst eindeutig für den Vorrang des Vermögensgesetzes entschieden[5], um dann nach mitunter vehementer Kritik in der Literatur[6] neue Kriterien anzusetzen. Man kann den Geist der Diskussion, die insbesondere im Zuge der Rückübertragung enteigneter Grundstücke geführt wurde, nicht ohne weiteres auf die Frage der Restitution von verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern übertragen: Zwar ist auch hier insoweit das Teilungsunrecht betroffen, als eine Rückerstattung nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht stattgefunden hat. Neben dem Vermögensgesetz spielt aber in der Praxis der Rückerstattung von Raubkunst das Bundesrückerstattungsgesetz eine fast noch entscheidendere Rolle.

 Formal sind sowohl das BRüG als auch das VermG zwar noch in Kraft. Wegen der dort an zentraler Prüfungsstelle enthaltenen materiellen Präklusion des Anspruchs auf Rückerstattung nach Verstreichen der Anmeldefrist können sie heute jedoch keine Wirkung mehr entfalten, um den intendierten "Rechtsfrieden" nicht zu gefährden. Dies kommt im Bereich des Vermögensgesetzes im Wortlaut des § 1 III zum Ausdruck.[7]

  Es wäre aber in der Tat ein faktischer Entzug der Anspruchsposition des vormaligen Eigentümers, wenn intertemporales Sonderrecht mit "Verfallsdatum", der materiellen Präklusion, an die Stelle des allgemeinen Zivilrechts tritt. Hier ist zu bedenken, dass ein Anspruchssteller oft jahrzehntelang nichts vom Verbleib der Kulturgüter wußte und auch nicht wissen konnte. Zudem waren häufig den gesetzlichen Erben eines Verfolgten die Möglichkeit zur Geltendmachung von Ansprüchen überhaupt nicht bekannt, da er nicht wußte, welche Gegenstände überhaupt im Eigentum seines verfolgten Vorfahren standen. Dementsprechend konnten solch potentiell Anspruchsberechtigte entsprechende Ansprüche schon gar nicht sachgerecht anmelden.

 Aus vorstehenden Gründen besteht nach Ansicht des Verfassers keine verdrängende Anspruchskonkurrenz des Rückerstattungsrechts gegenüber den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen mehr.



[1] Diese Rechtsansicht wird von der Verwaltung vertreten, die mit der gegenwärtigen Restitution verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter befasst ist, so insbesondere das LAROV Berlin und jetzt das Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (BAROV). Gerade mit Einbindung der freiwilligen Selbstverpflichtung, die auf die Prüfung von Anmeldefristen verzichtet, seien die Rückerstattungsregeln die abschließende Regelung. Nach Ansicht der OFD Berlin gilt auf Ebene der gesetzlichen Ansprüche die ausschließliche Wirkung der Rückerstattungsgesetze. Nach Maßgabe der freiwilligen Selbstverpflichtung soll aber vor dem Hintergrund von Artikel 3 GG auf die materiellen Regeln der Rückerstattungsgesetze zurückgegriffen werden, um dem Gleichbehandlungsgrundsatz gerecht werden zu können.

[2] Beide Normen lauten: „Ansprüche, die unter dieses Gesetz fallen, können, soweit in ihm nichts anderes bestimmt ist, nur in dem in diesem Gesetz vorgeschriebenen Verfahren und unter Einhaltung seiner Fristen verfolgt werden.“

[3] Für die Anwendung des § 138 II BGB (Ausnutzung einer Zwangslage) spricht sich OGH BrZ, mitgeteilt in MDR 1949, 469 aus.

[4] So für das Vermögensgesetz BGHZ 118, 34, 36.

[5] BGH vom 3.4.1992, in: BGHZ 118, 34.

[6] Nachweise bei Heß, Intertemporales Privatrecht, 279 ff.

[7] Ann Marie Welker, Privatisierung und Restitution, Diss. Frankfurt am Main 1999, S. 44.

 

 

 

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